
T E L U M
- Roman -
Osculum Leseprobe
Kapitel ROM, S. 197
Crispina, die neugierig geworden war, setzte sich in die Nähe der Reisenden, zu einer Gruppe von Juden, die in einer ihr unbekannten Sprache miteinander plauderten. Aus den Augenwinkeln fiel ihr ein älterer Mann auf, der mit seinem Sklaven herum pirschte und seltsam verdächtig in Crispinas Nähe blieb. Sie fühlte sich beobachtet, wusste aber nicht, ob das nur von ihrer übersteigerten Vorsicht rührte oder der Wahrheit entsprach.
Der etwas dickliche Mime, der als erstes aus dem Zelt trat, war beinah nackt. Nur ein Umhang, um Schulter und Lenden drapiert, schützte seinen Leib. Er trug die Attrappe eines Blitzbündels in der linken Hand, und die rechte hielt eine übergroße Amphore, die jedoch leer war, sonst hätte er sie nicht so leicht in die Höhe heben können. Ein Hilfssklave hielt sich immer ganz in der Nähe seines Rückens auf, um mit einem präparierten Blasebalg Flatulenzen zu imitieren. Der Mime schritt zur Mitte des Platzes, und bei jedem Schritt betätigte der Sklave den Blasebalg, worauf ein aufdringlich lautes Blähgeräusch erschallte, was die Zuschauer zum Lachen brachte. Der Mime reizte diesen Scherz bis zum Äußersten aus, tätigte jeden Schritt bald überdramatisch und erzeugte dabei jedes Mal das begleitende Geräusch, worauf das Publikum sich vor Lachen bog. Auch Crispina konnte sich nicht beherrschen, auch nicht die Juden, die mit ihr zusammen saßen. Und im gemeinsamen Vergnügen reichte man ihr ein wenig Käse und eine kleine Schale mit süßem Landwein.
Als der Mime seinen Scherz zur Gänze ausgeschlachtet hatte, trat ein zweiter Mime aus dem Zelt in den freien Raum zwischen den Zuschauern. Sein Gesicht war bemalt, so als hätte es viele furchige Falten, und er trug eine künstliche Hautmütze, eine Perücke ohne Haar, nur mit Kopfhaut, die jedoch nicht von einem echten Kopf herrührte, sondern die Haut eines Schweins sein konnte. Schwerfällig schreitend beäugte er die anwesenden Zuschauer und zeigte mit dem Finger auf einige. Der Mime mit dem Blitzbündel und dem Bläh-Sklaven sprach:
"Was hast du vor, Vespasianus!" Der Mann mit der Hautmütze antwortete nicht, und er ignorierte seinen Kollegen demonstrativ, was wiederum Gelächter auslöste. Er sprach das Publikum an:
"Wieso seid ihr nicht im Flavium? Was bei Astartes Willen tut ihr hier?" Als der Name der Gottheit Astarte fiel, lachten einige Römer. Andere, Reisende aus dem Osten, fanden es nicht lustig.
"Was nimmst du diese Diva in deinen Mund?" fragte der Flatulenz-Mime.
"Halt die Klappe, Jupiter-Claudius!" sagte der gespielte Vespasian, worauf ebenfalls Lachen der Erkenntnis anschwoll, hatten doch schon alle geahnt, dass dieser Mime den alten Kaiser Claudius in seiner Gestalt als Jupiter darstellte. 'Vespasian' wetterte: "Wieso besucht ihr nicht mein Amphitheatrum? Was tut ihr hier auf meinen Straßen, auf meinen Plätzen, und wieso esst und trinkt ihr? Wer gab euch soviel Geld?"
Es war hinlänglich bekannt, dass Kaiser Vespasian zu Lebzeiten als geizig angesehen wurde und alle Mittel in den Bau des Amphitheatrum Flavium gesteckt hatte. Ihn nun als witzlosen Mahner darzustellen, war nicht besonders originell. Der dritte Mime, übermäßig aufgemotzt mit falschen Siegerkränzen und breitem Gang, rief laut und singend:
"Sie alle sind hier, um mich zu sehen!" Applaus schwoll an, begleitet von Gelächter. Jeder wusste, dass dieser Mime den Kaiser Nero darstellte. Dieser hochgeschulte Künstler fing mit Leichtigkeit eine Leier auf, die ein Hilfssklave ihm aus einiger Entfernung zuwarf. Er ließ seine Finger durch die Saiten galoppieren wie ein Virtuose und erzeugte eine flotte, mitreißende Melodie, die viele Zuschauer zum Mitklatschen animierte.
"Ahenobarbus verstand zu leben,
Goldhaus und Spiele gab er sich,
die Liebe der Griechen,
die Gunst der Wagenlenker,
die Liebe der Mutter …" Nero hatte sich seinerzeit, nach dem großen Brand, einen Palast bauen lassen, die Domus Aurea, der später unter Vespasian abgerissen und an dessen Stelle das Amphitheater errichtet worden war. Schließlich hielt der falsche Nero inne. Jedermann auf dem Platz war bekannt, dass Nero seine Mutter umbringen ließ.
"Konntest so gut schwimmen, Mutter,
dein Schoß schwamm direkt zu mir! Goldhaus - wo ist es geblieben?
Vespasian, was hast du damit getrieben?" Der mit Falten Bemalte sagte trocken:
"Was für ein Goldhaus? Ach ... Du warst das? Du hast mein Rom verschwendet? Hätte ich das gewusst, mein Bester ..."
Der Vespasian-Mime riss dem Nero-Darsteller plötzlich die Kränze vom Kopf. 'Nero' duckte sich, spielte ein Weinen vor, greinte und zwitscherte Klagelaute. Crispina war höchst amüsiert. Der ältere Mann mit seinem Sklaven blieb in der Nähe. Er schien Crispina zu mustern, doch das brauchte nichts zu bedeuten. 'Vespasian' schmiss die Kränze in die Menge. Es streckten sich Hände hoch und fingen die Requisiten, die allerdings nur aus goldbemalten Zweigen bestanden. Ein vierter Mime betrat den Schauplatz. Er sah bizarr aus. Er trug eine Isis-Klapper in der rechten Hand, ein Zepter in der linken. Mit blau-weißem Gesicht und einer weibischen Lockenperücke stolzierte er umher und ließ ein künstliches, ledernes Gemächt zwischen dem Stoff seiner purpurnen Tunika hervorblitzen.
"Schwester?" sagte er mit betont hoher Stimme. "Schwester Agrippina? Schwester Drusilla? Incitatus? Mein Hengst, hast du dich in eine Jüdin verwandelt? Seht meinen Scapus!" rief er in gespieltem Stimmbruch und wedelte mit seinem umgeschnallten Phallus hin und her. Das Groteske dieses Anblicks ließ einige Ausländer erröten, doch die meisten der Stadtrömer prusteten herzlich.
"Man bringe mir mein Nachtmahl!" rief der Mime, den alle als Kaiser Caligula erkannten, worauf Sklaven einen Tisch vor ihm aufstellten und die Kaiser Nero, Claudius und Vespasian sich zu Sklaven degradierten und niederknieten.
Es war erstaunlich, welch Einfallsreichtum die Mimen bisher verborgen hatten. So ließen sich die Mimen von Claudius, Nero und Vespasian im Spiel die Kehlen aufschlitzen, so dass bisher versteckte Blutbeutel aufplatzten und den Eindruck vermittelten, sie wurden tatsächlich getötet. Zuckend und wimmernd blieben sie am Boden liegen, während der Mime des Caligula näselnd verkündete:
"Seht, wie bescheiden ich bin. Brot und Spiele - wie dekadent. Nein, mir genügt das Brot meiner Caesarenfreunde."
Röchelnd und zappelnd spielten die drei Mimen ihren Tod vor. Die Szene war natürlich frei erfunden, denn Caligula wurde lange vor den Amtszeiten der drei anderen von Praetorianern getötet. Und plötzlich, im Gewirr des Bizarren, trat ein neuer Mime hervor, im dunklen Philosophenmantel und Rauschebart. Von hinten trat er an den schmausenden 'Caligula' heran. Derweil bildeten mehrere gelenkige Sklaven einen Menschenturm, der sich hinter dem Bärtigen aufbaute. Viele applaudierten würdevoll, erkannten sie in dem neuen Mimen den ehrwürdigen Marcus Aurelius. Er sprach kein Wort, schritt stumm und bedächtig an 'Caligula' vorbei und zückte einen Dolch, der jedoch nur aus Holz bestand. Die Turba zeigte sich wenig erbaut, als der angebliche Aurelius den Mimen des Caligula von hinten ‚’erstach’. Das besaß wenig Witz, und manche buhten missfallend und schmissen mit Tonbechern, die mehrzahlig am Tisch zerschellten. Die Krönung der Geschmacklosigkeit wurde jedoch erreicht, als der menschliche Turm von einem kleinen dunkelhäutigen Knaben bestiegen wurde, der sich ohne weiteren Umstand anschickte, sein kleines Geschlecht zu entblößen und auf den Kopf des Darstellers von Marucs Aurelius zu urinieren, ungespielt und echt. Das brachte die Menge auf. Diejenigen die jubelten, wurden von denen angegriffen, die Empörungen ausriefen. Die Mimen versuchten, den Tumult für eine neue Pointe zu nutzen, doch sie wurden unter den sich vermengenden Leibern unrettbar vergraben. Crispina sah dabei zu, wie die Juden sich in die Massenprügelei einmischten und machte sich davon.
Nur weg.
Nur weg.